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Aktuelles | El-Kothany, Helga | 12.12.2024
Dezember-Stammtisch: Ein Gefängnis macht Karriere
Dr. Erich Viehöfer präsentiert unveröffentlichte Fakten über den Aufstieg des Obertor-Gefängnisses zum Theodor-Heuss-Museum
Er kennt die Essenspläne sämtlicher Gefängnisse im Land und weiß, hinter welchen Gittern das Essen wie schmeckt. Während seiner Arbeit hat man ihn schon zweimal in Gefängniszellen vergessen. Hilfe per Handy holen: Fehlanzeige. Das Handy wird gleich am Eingang abgegeben.
Was für die Zuhörer beim gut besuchten Dezember-Stammtisch des Zabergäuvereins am vergangenen Mittwoch in der „Pizzeria Pavarotti” in Frauenzimmern aber wohl am interessantesten ist, ist dieser Satz: „Was ich Ihnen erzähle, können Sie nirgends nachlesen.”
Referent Dr. Erich Viehöfer beschäftigt sich mit der Geschichte von Gefängnissen, darunter das ehemalige Oberamtsgefängnis Brackenheim, heute Theodor-Heuss-Museum, über das „erstaunlich wenige Angaben” existieren, kaum mehr als die Tafel am Eingang des Museums mit einem knappen Hinweis. Das Wenige, was es gibt, sei zudem teils unvollständig, teils unrichtig, was ihn bewogen habe, sich eingehend damit zu beschäftigen – und in andauernden Recherchen auch eigene Erkenntnisse zu revidieren.
In einem unterhaltsamen Vortrag mit vielen Bildern führt der Referent zuerst aus, wie man sich die Gefängnisse vergangener Jahrhunderte vorstellen muss.
Meist sind Häftlinge in Stadttürmen untergebracht, in Brackenheim im Obertorturm, einem von sechs Stadttürmen, wie man auf einer Flurkarte von 1835 sieht. Bei Ausgrabungen hat man Reste des Turms gefunden. Seit wann er als Gefängnis genutzt wird, lässt sich nicht mehr feststellen. 1808 ist der Zustand so schlecht, dass er leer steht. 1812 gibt es zwei Zellen für schwerere Verbrechen und vier für leichte.
Da der Bedarf an Gefängniszellen steigt, plant man ab 1816 den Abriss der alten Türme zugunsten eines neuen Oberamtsgefängnisses, was sich bis 1830 hinzieht.
Im Erdgeschoss lebt die Familie des Turm- und Torwächters. Die vorgeschriebene Einrichtung der Zellen in den Stockwerken darüber ist mehr als spartanisch. Es sei denn, der Häftling hat Vermögen und kann sich alle Annehmlichkeiten einschließlich Essen von außen kommen lassen.
Aufschriebe über die Haftzeiten gibt es nur aus den Jahren 1906 mit 79 und 1907 mit 105 Häftlingen. Länger als 21 Tage sitzt niemand ein.
Außergewöhnlich ist die Uhr am Oberamtsgefängnis. „Mir ist nur ein Beispiel dafür bekannt”, sagt Dr. Viehöfer, „und das ist Brackenheim.” Typisch seien Uhren dagegen an Tortürmen.
Bei der Glocke, deren fehlenden Klöppel Museumsleiterin Susanne Blach und Dr. Viehöfer bei einer gemeinsamen Inspektion unter dem Dach finden, handelt es sich wohl um die Armsünderglocke, die bei Hinrichtungen läutet.
Die Schließung des Gefängnisses zieht sich auch über Jahre hin. Ab 1912 sitzen nun leichte und schwere Fälle im Kriminalgefängnis in der Schleglergasse ein, das 1948 geschlossen wird.
Während des Ersten Weltkriegs wird die ungenutzte Ausstattung aus dem Obertor an das Arbeitshaus in Vaihingen abgegeben.
1927 werden die Zellen für Wohnungen freigegeben. Nach Auszug des Hausmeisters Georg Ackermann steht das Haus bis in die 60er Jahre leer. Beim Umbau wird das Erdgeschoss fast komplett verändert, die Obergeschosse bleiben weitgehend erhalten.
Am 8. Juni 1964 kauft die Stadt Brackenheim das Gebäude dem Land für 16500 DM ab.
Man plant zunächst ein Heimatmuseum samt Theodor-Heuss-Stube. 1968 zieht jedoch die Stadtbücherei ein sowie die erste Theodor-Heuss-Gedächtnisstätte, beides finanziert aus der Dr. Otto-Wendel-Stiftung. Nach dem Umzug der Bücherei ins Flüchttor wird aus der Gedächtnisstätte ein Museum. Das sei eine einmalige Entwicklung, stellt Dr. Viehöfer fest. „Aus dem Königlichen Oberamtsgefängnis ist das Theodor-Heuss-Museum geworden.”
Zur Person:
Dr. Erich Viehöfer, langjähriger Leiter des Strafvollzugsmuseums in Ludwigsburg, beschäftigt sich als Historiker und Germanist u.a. mit der Geschichte von Gefängnissen. Nach dem Studium „landet er im Knast“, wie er augenzwinkernd sagt, der ihn nicht mehr loslässt. Als das Gefängnis in Ludwigsburg geschlossen wird, sollte vieles, darunter eine Lehrmittelsammlung aus den 20er Jahren, weggeworfen werden. Er wird Mitglied im neu gegründeten Förderverein und baut das Museum mit auf.
Seit seiner Berentung arbeitet er im Museum in Teilzeit aus und widmet sich verstärkt Recherchen und deren Veröffentlichungen.